Samstag, 17. August 2013

Verdrehte Welt

Es ist mal wieder soweit. Mehrere tausend Sportbegeisterte laufen um die Wette - genau unter meinem Fenster durch. Und wenn man so von oben aus dem Fenster seiner Küche im 4. Stock, auf die auf und ab und sich stetig vorwärts bewegende Masse guckt, kommt es zu einem kleinen Phänomen. Nein, ich meine nicht, dass dir einige Leute zu winken, oder dich auffordern, dein T-Shirt zu heben und deinen Busen zu zeigen - ich meine etwas anderes.
Wenn die Masse auf dich zukommt und genau unter deinem Fenster verschwindet, dann fängt die Welt auf einmal an, sich zu bewegen. Du folgst den Läufern mit den Augen, wenn du unten angekommen bist, fängst du oben wieder an. Und dann ganz plötzlich, scheint alles um sie herum zu gleiten und zwar in die entgegen gesetzte Richtung. Parkende Autos, stehende Absperrhütchen, die festbetonierten Gehwegplatten, der starre Asphalt der Straße - alles fließt und zwar den Läufern entgegen. Man wird dabei schwindelig und fragt sich, ob diese optische Täuschung jemals aufhört, oder wohin der Asphalt denn fließen will. Ist das vielleicht gar keine optische Täuschung?
Früher, als ich noch jünger war, hab ich mir ab und zu vorgestellt, dass nicht ich mich fortbewege. Dass nicht ich, mich Schritt für Schritt von Etwas wegbewege oder darauf zugehen. Ich habe mir vorgestellt, dass ich der Welt mit jedem Schritt einen kleinen Anschwung gebe, dass ich eigentlich immer auf demselben Fleck stehe und mir die Erde so drehe, bis ich am Ende dort bin, wo ich gerade sein will. Und wenn ich dann gelaufen bin, dann ist dies natürlich schneller passiert.
Aber das geht ja gar nicht, denn wenn ich das könnte, könnte das wohl jeder. Dann würde aber keiner an sein Ziel kommen, weil alle in eine andere Richtung wollen, jeder hätte ein anderes Ziel, ein anderes Tempo - die Welt würde durchdrehen und nicht mehr wissen, wohin sie denn nun soll. Wenn ich die Welt wäre, würde ich mich aus Protest aufhören zu drehen. "Könnt ihr euch mal entscheiden wohin ihr wollt, ihr Menschen! Wohin soll die Reise denn nun gehen?" würde ich dann rufen, nachdem sie alle wieder aufgestanden sind. Denn weil ich so plötzlich angehalten habe, sind alle hingefallen - schlimmer als ein Bus, der zu hart bremst. Und weil die wenigstens Menschen wirklich wissen, wohin sie eigentlich wollen, oder was sie hier überhaupt machen, bekomme ich natürlich keine Antwort. Und weil ich dann Mitleid habe, mit den armen verwirrten Schafen, würde ich mich weiterdrehen. Vielleicht fällt ihnen ja später eine Antwort ein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen