Montag, 9. Dezember 2013

Hilfe, Polizei!

Vor sechs Tagen lebte ich noch in der Großstadtanonymität. Vor sechs Tagen wusste ich von meinen Nachbarn noch kaum bis gar nichts. Vor sechs Tagen wusste ich, dass mein Nachbar gegenüber Alkoholiker ist, dass der neben mir gerne Freunde zu Besuch hat und Nachts stöhnt. Ich wusste, dass sich das Paar unter mir sehr häufig streitet, das dort mal ein Kind war. Ich wusste, aus welcher Wohnung der Geruch von Gras kommt, wo der Inder wohnt, der mich zum Wein eingeladen hat. Ich kannte keine Vornamen, wusste nicht wie es in den Wohnungen aussieht oder was meine Nachbarn so machen. Bis vor sechs Tagen, die Frau unter mir nach Hilfe rief. 

Das Paar streitet sich wieder, sehr heftig. Er steht im Hausflur, vor der Tür und tritt dagegen, so heftig, dass meine Tür wackelt. Und dann höre ich es splittern und die rufe der Frau: "Hilfe, hilfe Polizei." Ich telefoniere zum dritten Mal an diesem Tag mit der Polizei, die zum Glück noch vor Ort ist. Dem Lärm im Treppenhaus zufolge ist er abgehauen und eine Nachbarin ist bei ihr. Ich geh auch raus, rufe für sie einen Tischler an, weil ihr Typ ihr Handy kaputt gemacht hat. Dann geh ich zurück in meine Wohnung. Zwanzig Minuten später klingelt die Geschlagene an meiner Tür. Sie würde gerne den Tischler nochmal anrufen und O2, damit wenigstens ihr Festnetz funktioniert. Hätte ich es doch gelassen, hätte ich doch gesagt, dass sie zur Telefonzelle gehen soll, die genau gegenüber steht.

Seit sechs Tagen klingelt sie nun bei mir, bis zu fünfmal täglich. Sie will telefonieren, mit O2, dem Tischler oder ihrer Betreuerin, der sie sagt, dass sie eine Anzeige gegen ihre Mutter machen soll, weil ihr Bruder ihre kleine Tochter sexuell missbraucht. Wenn das stimmt, warum geht sie nicht direkt zur Polizei?! Sie stresst mich. Sie stört mich beim Schreiben, stört mich, wenn ich morgens zur Arbeit gehen will, klingelt wenn ich gerade mal zehn Minuten zu Hause bin. Sie klingelt um neun Uhr morgens und um zehn Uhr abends. Und wenn ich ihr sage, dass ich jetzt meine Ruhe haben will, dass es nach zehn ist, dann ist sie auch noch sauer.

Ich will das alles nicht mehr wissen. Ich will auch nicht mehr wissen, wie es bei meinen Nachbarn aussieht, ich will auch nicht wissen, das angeblich mein Alkoholikernachbar, mit der Frau gepimpert hat, die seit Tagen meine Wohnung verseucht mit ihren Problemen, dass sie angeblich mehrere Monate in der Geschlossenen war. Ich will auch nicht mehr wissen, dass meine andere Nachbarin beobachtet hat, wie sich die angeblich Geschlagene selber verletzt hat, wie sie bei einem Streit auf dem Hausflur ihren Kopf in die Hand genommen hat und ihn selbst gegen die Wand gehauen hat, um es ihm in die Schuhe zu schieben. Ihr verkorkstes Leben dringt in meins, die gemütliche Atmosphäre ist voll mit ihrem Stress.

Ich habe Angst, wenn ich höre wie ihre Tür aufgeht, habe Angst wenn ich nachhause komme, dass sie mich dabei hört und sie fünf Minuten später bei mir klingelt. Ich kann mich nicht entspannen, in meiner eigenen Wohnung. Ich will meine Ruhe zurück, meinen Rückzugsort, meine Anonymität.

3 Kommentare:

  1. Das ist ja echt dumm gelaufen. Wie sagte meine Oma immer: Gutheit ist Dummheit. Und wenn du der Tante mal ne klar Ansage machst? Meinst du , du bekommst das hin? Ich weiss, das ist nicht immer einfach!

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  2. Ich hab sie neulich Nacht rausgeschmissen, mit den Worten: "Ich will jetzt meine Ruhe haben." Seitdem war sie nicht mehr hier. Zumindest nicht wenn ich da war. Und gestern morgen habe ich ein Telefon läuten hören bei ihr. Also hat sie eigentlich keinen Grund mehr zu mir zu kommen. Ich hoffe das war es jetzt auch.

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  3. Hey,
    toller Blog!
    Lust auf gegenseitiges Folgen? :)
    LG http://fashiongizem.blogspot.de/

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